KünderInnen des Unzeitgemäßen/Boten der Zeit/ losigkeit
Archaische Themen; Ton als Material: dies scheint sich gut zusammenzufügen. Hinzu tritt die Tatsache, dass die Schöpferin dieser Figuren weiblich ist, was leicht zu Spekulationen über Natur und Bestimmung der Frau (ver)führt. Doch, so einfach ist es nicht.
Boote und Pilgerstäbe, eine sich emporreckende, an den Gliedmaßen verstümmelte Körper, Wundmale, Torsi -. Die Arbeiten sind KünderInnen einer 'anderen' Welt, legen Verletzbarkeiten offen, bewahren sich eine Ruhe und Unantastbarkeit. Und dennoch vermitteln sie keinerlei Kälte oder Härte. Sie atmen aus der Verbindung unbedingter Nähe und auratischer Distanz. Bei verweilender Betrachtung erschließen sie einen stummen Dialog, entbergen sie nuancierte Gesichter und empfindsame Zustände, eröffnen sie einen Raum der Intimität, der mitunter erschreckt.
Diese konfrontierenden Verstümmelungen weisen möglicherweise die Wunden einer Gesellschaft am Ende der Moderne. Einer Kultur vorzuweisender Leistungen, allzeitiger Verfügbarkeit und geschönter Gesichter. Einer Zivilisation funktionierender Abläufe und gesicherter Stellungen.
Diese Deformationen weisen die 'anderen' Befindlichkeiten. Nicht im Sinne von 'Natur' im Gegensatz zu 'Kultur', sondern vielmehr als Teil dieser Kultur in Form eines Verlangens und einer Sehnsucht. Sie fliehen nicht in ferne Zeiten, sie offenbaren vielmehr die Brüche der Gegenwart. Sie beharren auf jenen Kräften und Energien, die aus Nacktheit und Ohnmacht erwachsen.
In ihrer stillen Präsenz schaffen sie Verzögerungen. Sie unterbrechen Läufe und bieten Einhalt angesichts sich überlagernder Bilder und Töne. Diese kargen Skulpturen aus Ton bilden Ungleichzeitigkeiten inmitten bedrängender Gleich- und Allzeitigkeiten.
Monika Leisch-Kiesl 1996